Das Wiener Terrassenhaus – Entwicklungsphasen und Aktualität eines historischen Wohntypus mit Fokus auf den lokalspezifischen architektonischen Diskurs

Dissertant: Lorenzo De Chiffre
Betreuerin: Astrid Staufer

English Version

Diese Studie behandelt das Terrassenhaus als städtische Wohnform mit besonderem Fokus auf seine Präsenz im Wiener Wohnbaudiskurs. In diesem Zusammenhang wird die spezifische Bezeichnung Wiener Terrassenhaus vorgeschlagen. Es handelt sich um einen Gebäudetypus, der als abstraktes und nutzungsbezogenes Konzept und gleichzeitig auch als konkrete Formgestalt mit entsprechendem Ausdruck als Doppelbegriff zu sehen ist. Über das 20. Jahrhundert hinweg hat der Gebäudetypus wiederholt im lokalen Wohnbaudiskurs seine Präsenz gezeigt und über diese Zeitspange betrachtet wird eine Entwicklung des Konzepts erkennbar, die im Gegensatz zu bisherigen Auffassungen ein differenziertes Bild von Entwurfslösungen darstellt.

Die Ursprünge des Wiener Terrassenhauses gehen auf nicht realisierte Entwürfe von Adolf Loos zurück, die als Gegenvorschläge zum offiziellen Gemeindehof entwickelt wurden. Vor allem das Terrassenhaus für die Inzersdorfer Straße (1923) hat einen nachweisbaren Einfluss auf spätere Projekte ausgeübt. Dieses Projekt ist eng mit dem Siedlungskonzept verwandt, das Adolf Loos in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg entwickelte. Gleichzeitig folgt es auch seiner persönlichen Entwurfssprache und Bestrebung das Alltägliche und das Monumentale zu vereinigen.

Die spätere Entwicklung des Wiener Terrassenhauses lässt sich in Bezug zum Gegensatzpaar Stadterweiterung und Stadterneuerung, einer der Hauptthemen des Wohnbaudiskurses der Nachkriegsjahre, verstehen. In diesem Zusammenhang wird mit der vorliegenden Arbeit das Dreischrittschema These, Antithese und Synthese als interpretativer Rahmen für die Entfaltung des Gebäudeprinzips vorgeschlagen.

Somit wird angenommen, dass das Terrassenhaus zuerst Mitte der 1960er Jahre mit dem von der Arbeitsgruppe 4 erstellten Konzept Wohnberge (1964) am Stadtrand als „These“ auftritt. Die Blütezeit des Terrassenhauses als Grundelement für Stadterweiterung wurde von der wegweisenden generationsübergreifenden Ausstellung Neue städtische Wohnformen (1967) markiert. Hier lässt sich feststellen, dass einerseits pragmatische kleine Terrassenhäuser und andererseits utopisch anmutende Großwohnkomplexe dadurch ein gegenseitiges Verhältnis von Legitimierung bildeten, dass die kleinen Bauten wie Modelle für die großen Bebauungen gesehen wurden.

Als „Antithese“ zu diesen Entwürfen für die Stadtperipherie werden Entwürfe für innerstädtische Terrassenhäuser angeführt, die als grüne Täler bezeichnet werden: Das wenig bekannte Projekt Stadterneuerung Schottenfeld (1966-1971) von Hermann Czech, das früh den Fokus zurück zur Stadt lenkte, und die international anerkannte Wohnanlage Wohnen Morgen von Wilhelm Holzbauer (1974-1980) werden als wichtigste Beispiele diskutiert. Es wird in diesem Zusammenhang argumentiert, dass das realisierte Projekt von Holzbauer weitgehend städtebauliche Aspekte umsetzte, die bereits im früheren Projekt von Czech formuliert waren. In der Mehrzahl der Terrassenhausprojekte aus dieser Zeit fließen internationale Impulse gemeinsam mit dem lokalhistorischen Erbe von vor allem dem Loos’schen Terrassenhaus zusammen.

Ab Anfang der 1970er Jahre entwickelte Harry Glück, der im bisherigen Diskurs über das Terrassenhaus nicht teilgenommen hatte, ein stringentes, konstruktiv und bauwirtschaftlich optimiertes und gleichzeitig maßstabsunabhängiges Gebäudeprinzip. Diese Version des Terrassenhauses ließ sich gleichgut am Stadtrand sowie in innerstädtischer Lage anwenden und bildete eine „Synthese“ der früheren entgegengestellten Konzepte (Wohnberge und grüne Täler), die Harry Glück als gestapelte Einfamilienhäuser bezeichnete. Diese Wohnbauten, die eine auffallend hohe Akzeptanz der Bewohner aufweisen und in der Zwischenzeit beinahe Synonym für das Wiener Terrassenhaus geworden sind, wurden unter besonderen politischen und finanziellen Rahmenbedingungen erstellt, die es schwierig macht, sie mit andere Bauten dieser Art zu vergleichen.

Heute, nach mehreren Jahrzehnten geringer Beachtung erlebt das Terrassenhaus international, wie auch in Wien, ein neues Interesse als Element für städtisches Wohnen. Die vorliegende Arbeit befasst sich abschließend mit zwei gegenwärtigen Terrassenhausprojekten, nach 2010 gebaut, die jeweils eine der zwei Hauptkategorien Wohnberge und grüne Täler weiterentwickeln. Als Schlussfolgerung wird auf die Wichtigkeit der städtebaulichen Eigenschaften des Terrassenhauses aufmerksam gemacht, die beachtet werden müssen, um es zu einem wirksamen Mittel für städtisches Wohnen zu machen. Gleichzeitig wird argumentiert, dass darin die Qualität des Bautyps liegt – einerseits seine Kapazität zwischen unterschiedlichen Maßstäben zu vermitteln (Wohnberge als urbaner „Zement“) und anderseits das Vereinen von verschiedenen räumlichen Situationen zu einer zusammengesetzten Struktur (grüne Täler als „Januskopf“). Weiters wird auf wenig verwendete Elemente aus der Entwicklungsgeschichte des Wiener Terrassenhauses, wie u.a. die Loos’schen Hochstraßen, hingewiesen, die das Potential aufweisen, einen graduierteren räumlichen Zusammenhang zwischen Wohnung und Stadt entstehen zu lassen.

Begriffe: Terrassenhaus, Stufenbau, städtischer Wohnbau, Typologie, Bauform, Wohnkonzept, Bebauungsform, Städtebau

Ausstellungen: Wien der Zukunft (1964), neue städtische Wohnformen (1967), integrierter Städtebau (1971), Alternativen im sozialer Wohnbau (1975)

Protagonisten: Adolf Loos, Oskar Strnad, Arbeitsgruppe 4, Viktor Hufnagl, Hermann Czech, Wilhelm Holzbauer, Harry Glück, PPAG (Anna Popelka und Georg Poduschka) und ARTEC (Bettina Götz und Richard Manahl)